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Muhammad Ali

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„Gott hat sich seinen Champion geholt…“
(Mike Tyson, ebenfalls umstrittener Boxweltmeister, in seinem heutigen Nachruf)

Muhammad Ali (* 17. Januar 1942 in Louisville als Cassius M. Clay Jr.; † 3. Juni 2016 in Scottsdale, Arizona), US-amerikanischer dreifacher Boxweltmeister, 1999 vom Internationalen Olympischen Komitee zum „Sportler des Jahrhunderts“ gewählt – und doch jahrzehntelang ein körperlich Schwerkranker mit bis zuletzt aufrechtem Gang.

Seine Kämpfe gegen George Foreman und Joe Frazier gelten unter den Schwergewichtskämpfen als unsterbliche Box-Klassiker.
Aber auch außerhalb des Boxrings sorgte Ali für Schlagzeilen. So lehnte er öffentlich den Vietnamkrieg ab, verweigerte den Wehrdienst (was ihm eine Gefängnisstrafe einbrachte) und unterstützte die Emanzipationsbewegung der Afroamerikaner in den 1960er Jahren – und hierfür sollte er uns in Erinnerung bleiben.
Wer lediglich Sportler war, ist bald vergessen; denn derer gibt es mehr als genug.
Muhammad Ali hat mehr getan: Er hat sich gegen Missstände gewehrt und uns (noch) Gesunden auch vorgelebt, wie man als Schwerkranker weiterleben und in Würde sterben kann.
1984 war bei ihm das Parkinson-Syndrom diagnostiziert worden. Als Spätfolge jahrzehntelangen Boxens? Wahrscheinlich, dies ist aber nicht beweisbar. Es gibt ja auch Kettenraucher, die fast 100 werden (siehe Helmut Schmidt).
Unvergesslich jedenfalls ist uns etwas älteren Sportfans, wie Ali 1996 in Atlanta das olympische Feuer entzündete – mit sicherer, kaum zittriger Hand.

Unter den LeserInnen dieses Trauerportals mag es zahlreiche Freunde des Boxsports geben; sie könnten ‚Ali‘ auf YouTube noch einmal ‚live‘ erleben – und seine (hier allesamt unterlegenen) Gegner (unter ihnen gleich zu Beginn des Films der bundesdeutsche Ex-Weltmeister Karl Mildenberger, der sich 79jährig bester Gesundheit erfreut, vielleicht weil er rechtzeitig aufgehört hat).

Doch auch die Gegner dieser aus ihrer Sicht brutalen, unmenschlichen Sportart werden um den Jahrhundertsportler trauern, dessen lautstarke Angeberei doch nur die Show war, die seine Freunde wie seine Gegner von ihm erwarteten.

Nun hat ‚Gott sich seinen Champion geholt‘…
Sicher, er war dann doch nicht der ‚Größte, Stärkste‘. Der Tod war größer, stärker als er; am allergrößten, allerstärksten ist jedoch womöglich Gott, der den Verstorbenen das ewige Leben schenkt (dereinst auch uns noch Überlebenden).
Ich kann das natürlich nicht beweisen – aber das Bild von Ali, gemeinsam mit Max Schmeling und Joe Louis auf einer boxringumseilten Wolke Champagner trinkend und dicke Zigarren rauchend, haut mich halbe Portion fast um.

Von dem deutschen Liedermacher Reinhard Mey gibt es ein frühes, bewegendes Lied eher über die Fragwürdigkeit des Boxsports als über dessen Ästhetik, das diesen Nachruf würdig abrunden soll:

„Neun … und vorbei“ (aus den 60er Jahren)

Ein Lichtfleck von acht Seilen begrenzt,
Dahinter lauert die Nacht
Und ein zehntausendäugiges Gespenst,
Das jeden deiner Schritte überwacht.
Zehntausend Augen, die sehen wollen,
Wie lange du dich noch hältst;
Fünftausend Münder, die schreien wollen,
Wenn du endlich zu Boden fällst.

In der ersten Reihe (du siehst es nicht)
Steckt sich ein dicker Mann
Eine lange Zigarre in sein Gesicht,
Und dann saugt er genüsslich daran.
Du siehst deinen Gegner nur vor dir steh‘n,
Der weiß längst, wie erledigt du bist;
Und du kannst aus geschwollenen Augen seh‘n,
Wer von euch der Stärkere ist.

Du tänzelst unsicher, du deckst dich nicht mehr,
Und diesmal trifft er dich gut;
Und alles dreht sich wie wild ringsumher,
Und du schmeckst auf deinen Lippen dein Blut.
Und zum ersten Mal spürst du den Geruch
Von Schweiß und Bier, du atmest tief
Und irgendwer reicht dir ein nasses Tuch,
Und du denkst, dir wird schlecht von dem Mief.

Du hörst Frauen kreischen und Männer schrei‘n,
Und du hoffst, du bist endlich besiegt,
Denn selbst ein Raubtier lässt seinen Todfeind sein,
Wenn er hilflos am Boden liegt.
Den Mann, der bis neun zählt, den hörst du bis drei,
Pfeifen, Getrampel, Gestampf.
Zwei tragen dich raus, zu Ende, vorbei,
Ring frei für den nächsten Kampf!

In der Garderobe kommst du vielleicht wieder zu dir
Und betastest dein zerschlag‘nes Gesicht;
Vielleicht auch nicht, nun, das liegt an dir,
Ob du zäh genug bist oder nicht.
Vielleicht hast du Glück und dein Arzt ist geschickt
Und vollbringt an dir kunstgerecht
Ein medizinisches Wunder und flickt
Dich halbwegs wieder zurecht.

Ein Lichtfleck von acht Seilen umsäumt,
Lampen, die grelles Licht streu‘n,
Ein für allemal ausgeträumt,
Vier, fünf, sechs, sieben, acht, … neun!

 

Dipl.-Päd. RL Fred Maurer


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